Grenzen im Kopf

Firmenlauf

Vor fünf Jahren lief ich beim B2Run in München mit. Untrainiert zwischen Kind 1 und 2. Es regnete, was mir grundsätzlich eher Spaß bereitet, aber mit meiner gewählten Baumwollhose war ich doch eher idiotisch aufgestellt. Es gab da diesen einen Punkt, wo ich dachte, nichts geht mehr. Ich hätte gehen können, aber es heißt nun mal Firmenlauf, also lief ich. Gehen ist albern, fand ich. Als ich dachte, ich schmeiß hin, ich schaffe keinen Meter mehr, folgte dann doch der Gedanke: „Hey, ich habe mein Kind im Geburtshaus zur Welt gebracht, ohne Hilfsmittel, ohne alles, ich habe das geschafft, dann schaffe ich auch diese [verfi… ] 6,75 Kilometer.“ Und ich schaffte sie. Untrainiert, das erwähnte ich, ja? Es war saugeil, ins Olympiastadion einzulaufen, auch wenn ich dafür den Bund meiner mittlerweile durchnässten Baumwollhose fest mit beiden Händen halten musste, weil sie mir sonst um die Knöcheln geschlackert wäre. Wobei mir das vermutlich mehr Aufmerksamkeit gebracht hätte, als mein Platz 4573 oder so.

Vor kurzem habe ich einen Kletterkurs absolviert und mir macht das Klettern sehr viel Spaß. Nicht zuletzt deshalb, weil mir diese Sportart scheinbar liegt. Das ist wichtig, um mich für etwas zu fesseln. Ich will ja auch lieber Klavier spielen können, als Klavier spielen lernen. Das gibt ziemlich gut wieder, wie es um meine Lernwilligkeit steht. Ich mag es, wenn mir die Dinge etwas zufliegen. Und ich bin mir gegenüber ungeduldig.

Das Schöne am Sport: die eigene Leistung ist sehr gut messbar und ob man sich fortentwickelt, wird schnell deutlich.

Als ich mit meiner Freundin klettern war, scheiterte ich auf etwa zweidrittel einer Sechs-Minus-Strecke und ich wusste noch oben an der Wand, dass es der Kopf war, der zumachte. Nichts ging mehr und ich ließ mich abseilen, was meine Freundin, die mich sicherte, zu Recht ein wenig verwunderte. Eine Woche später war ich mit meinem Kletterpartner wieder in der Kletterhalle. Er nahm sich genau diese Strecke vor und ich wiegelte gleich ab: „Nee, die habe ich letztens nicht geschafft, ich probiere das erst wieder, wenn ich so weit bin.“

Mein Kletterpartner und ich sind einigermaßen gleich auf, was unsere Leistung an der Wand angeht. Er hat mehr Kraft, ich teilweise die bessere Technik. Wir ergänzen uns gut, das ist schön. Er meisterte die rote Sechs-Minus souverän und als er sicher abgeseilt wieder vor mir stand, wollte ich es auch.

Plötzlich erschien es mir albern, es gar nicht erst zu versuchen, nur aus Angst, nochmal zu scheitern. Dabei standen die Chancen gut, dass ich es schaffen würde. Und was sollte schon passieren, wenn ich nochmal an meine Grenzen stieß? Hier ging es nur um mich und die Wand. Es war „nur“ Sport. Im schlimmsten Fall käme ich nur so weit, wie beim letzten Mal, vielleicht ein wenig weiter, im allerbesten Fall würde ich es bis ganz oben schaffen. Egal wie, ich könnte es immer wieder versuchen.

Dieser Moment, wo ich beschloss, etwas zu tun, von dem ich nicht wusste, ob es mir gelingt, der hat mir unglaublich viel gegeben.

Das bin ja nur ich

Zu verstehen, dass es nur ich bin, die sich vor sich selbst rechtfertigen muss oder eben nur vor sich selbst scheitert, das entspannt mich total. Vielleicht hat es mit dem mittlerweile etwas abgegriffenen Selbstliebe-Begriff zu tun, aber wenn man mit ein wenig Achtung auf sich selbst guckt, sich selbst nicht zu ernst nimmt, vielleicht auch mit ein wenig Humor, dann geht’s eigentlich. Ich bin oft mein härtester Gegner, das ist mir in den letzten Wochen klar geworden. Und spielerisch/sportlich zu trainieren, Grenzen zu überwinden, das ist eine schöne Übung für Momente, die einem im ganz normalen Leben begegnen und eben nicht so lustig sind.

Der Kopf spielt eine große Rolle

Angeblich hat man erst 50 % seiner Leistungsfähigkeit erreicht, wenn man meint, seine Leistungsgrenze erreicht zu haben. Das klingt etwas unglaublich, wenn man sich an seine letzte Begebenheit erinnert, wo man dachte, nichts geht mehr. Unabhängig von der Prozentzahl: ich weiß, dass oft viel mehr geht, als der Kopf mir gewährt. Im Sport merke ich das sehr gut, ob es nun nur fehlende Bereitschaft ist oder ob der Körper nicht mehr mitmacht – gerade beim Laufen. Im echten Leben ist das etwas komplexer. Kaufentscheidungen trifft man zum Beispiel grundsätzlich emotional und begründet sie nachträglich rational. Unbewusst. Ich glaube, man trifft auch Kündigungs-Entscheidungen jeglicher Form auf diese Art und Weise. Herz und Kopf streiten, vielleicht meldet sich auch noch der Körper mit Kopf- oder Magenschmerzen zu Wort und man ist verwirrt und weiß gar nicht so recht, worauf man denn jetzt hören soll.

Sich das Scheitern erlauben

Lange habe ich mir die Frage gestellt, durch welche Schwierigkeiten ich durch muss und wo ich Grenzen setzen kann und darf. Wo fängt Grenzen setzen an und hört Weglaufen auf? Vor kurzem habe ich mich darüber mit einem klugen Menschen unterhalten. Er meinte, man sollte die Wahrscheinlichkeit des Erfolges betrachten. Wo lohnt es, dranzubleiben, weil ich glaube, dass es einen Erfolg verspricht und wo reite ich ein totes Pferd? Das ist sicher nicht immer leicht zu sehen, schließlich besitzen wir keine Glaskugel, die uns die Zukunft zeigt. Vielleicht ist es manchmal auch eher die Frage, wo ich an den Erfolg glauben will, ist mir dieser überhaupt noch wichtig? Wenn die Antwort nein lautet, dann kann man sich auch mal ganz bewusst entscheiden, diesen Weg nicht mehr weiterzugehen. Man muss nicht durch alles durch.

Alles oder nichts

Als eine, die gerne alles in Frage stellt, sobald nur das SCH von scheitern (nach meiner eigenen Definition) im Raum steht, entspannt es mich, zu erkennen, dass es zwischen schwarz und weiß auch ein Grau gibt.

Sport hilft mir gerade sehr, meine Gedanken in Bahnen zu lenken, die mir ganz gesund erscheinen. Im Crossfit meinte der Trainer vor kurzem, dass es gerade bei der Mobility, also bei der Beweglichkeit darum gehe, jeden Zentimeter mitzunehmen. Wir sollen nicht verzweifeln, wenn am Anfang scheinbar nur wenig Beweglichkeit da ist. Es gehe darum, das Beste zu geben und jedes neue Mal etwas mehr zu schaffen. Nicht für andere, sondern für sich selbst.

Ich finde, das ist eine schöne Allegorie fürs Leben. Auch hier geht es um Beweglichkeit – im Kopf und im Tun. Wie oft bin ich schon verzweifelt, weil etwas nicht gleich klappte und stellte mich selbst in Frage. Wie unnötig.

Ich kann es immer wieder versuchen

Ich kann dieses ganze Tschakka-Gesülze nicht mehr hören. Aber leider muss ich sagen: an manchen Dingen ist was dran. Man kann jeden Tag, jedes Vorhaben, jeden Job – Alles! – neu beginnen und als neuen Start betrachten. Vielleicht einfach nur im Sinne von anders machen oder es anders zu betrachten, anders zu bewerten. Vielleicht legt man die Messlatte niedriger und betrachtet nicht das Ergebnis, sondern den Fortschritt. Manchmal sind es ganz kleine Stellschrauben, die sobald man sie ein wenig verstellt, schon eine Änderung bringen.

Mama arbeitet schrieb vor kurzem einen Post darüber, wann man erwachsen ist. Ich glaube, ich bin in den letzten Monaten ein Stückchen erwachsen geworden. Aus einer Vielzahl von Gründen. Ich bin für mich selbst eingestanden und habe eine erwachsene Entscheidung für mein inneres Kind getroffen. Ich habe viele Dinge für mich verstanden und sortiert. Ich habe mir selbst vergeben und tue es noch. Ich versuche reflektiert zu sein. Ich bin nicht perfekt, ich mache Fehler, ich gebe manchmal nicht mein Bestes, aber ich versuche, dafür keine Ausreden mehr zu finden. Manchmal ist es einfach scheiße gelaufen. Das kann ich besser und werde es tun. Und wenn ich es nicht besser kann oder will!, dann versuche ich das jetzt, zu kommunizieren. Das gelingt mir nicht immer sofort, aber ja, grundsätzlich schon. Und es gibt Momente, die sind einfach schwer. Und dann kann ich sie so nehmen und muss sie nicht kompensieren. Manchmal ist heulen eine echte Option. Danach Krone richten und weiter geht’s.

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4 Antworten zu Grenzen im Kopf

  1. Mama arbeitet schreibt:

    Liebe Tina,

    „das bin ja nur ich“, und ich darf scheitern, es neu versuchen, und muss mich nicht rechtfertigen ist unglaublich befreiend, das finde ich auch.

    Und auch „Wo fängt Grenzen setzen an und hört Weglaufen auf?“ ist eine Frage, die ich kenne. Auch in der Form „Wo hört Grenzen setzen auf und wo errichte ich Mauern, wo gar keine nötig sind?“, was die logische Konsequenz ist. Ich lerne das jeden Tag neu und ich glaube, ich bin damit nie fertig.

    Gerne gelesen! Und viele Grüße!
    Christine

    • vomwerdenzumsein schreibt:

      Liebe Christine,
      danke für deine schöne Rückmeldung. Und ja, du hast recht, das ist wohl alles ein Prozess, der ein Leben lang dauert und doch ist es immer wieder irgendwie anders.
      Viele liebe Grüße zurück.
      Tina

  2. Kathi schreibt:

    Ein toller Beitrag, Tina. Und wahrlich, zu erkennen, wo eine Grenze ist und wo man sich nur im Wege steht, das ist schwierig.

  3. lgajewsky schreibt:

    Ich sitze lesend und nickend auf der Couch. Ja – du schreibst genau das, was auch in meinem Leben passiert oder mir auffällt – und es tut sehr gut, beim Lesen festzustellen, dass ich nicht die Einzige bin, die so denkt und aus dem Neu-Denken Kraft und Energie fürs nächste Aufstehen und Krone-richten gewinnt.
    Danke !!!

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