Der Sorgenfresser

Zwischen „Mama, was sind Sorgen?!“ und „Mama, ich wünsche mir einen Sorgenfresser.“ lagen zwei Jahre. Damals habe ich mich sehr über die Was-sind-Sorgen-Frage gefreut, ist es nicht einfach großartig, wenn ein Kind nicht weiß, was Sorgen sind?

Als der Wunsch nach einem Sorgenfresser da war, schmerzte er und betrübte mich ein wenig. Da war sie also hin, die Leichtigkeit. Als Eltern haben wir nicht die Macht, alles Negative von unseren Kindern fernzuhalten – diese Erkenntnis trifft mich immer wieder. Dabei ist es natürlich, dass sie ihre eigenen Erfahrungen machen und wir sie nicht immer davor bewahren können, dabei Schmerz zu erfahren. Das nennt sich Leben.image

Dieses Jahr hat das Christkind also einen Sorgenfresser gebracht, je einen für die Große, mittlerweile acht Jahre alt und auch ohne expliziten Wunsch gleichzeitig einen für die Kleine, sechs Jahre alt.

Sie schreiben kleine Zettel und füttern damit den Sorgenfresser, der sich nun mal von Sorgen ernährt und sie dadurch verschwinden lässt. Ein schönes Bild, es hat ein wenig von „aus den Augen, aus dem Sinn“. Besonders stolz bin ich darauf, dass sie mir ihre ersten Zettel zeigen wollten, etwas scheu haben sie mich gefragt, ob ich sie sehen möchte. Das hat schon ein wenig Tagebuch-Charakter und es berührt mich sehr, dass sie das mit mir teilen, es berührt mein Herz und ich sehe das Vertrauen, das sie mir damit schenken und das erfüllt mich zutiefst.

Sorgen im Kindersinne handeln nicht von Geld, Beziehung, Beruf. Ich glaube, wir vergessen im Laufe der Zeit, was in einem Kinderkopf- und -herz so alles los sein kann. Dinge, die uns klein erscheinen, für die Kinder aber absolut relevant und groß sind – sei es Ärger auf dem Schulhof oder ein kaputtes Spielzeug.

Als mir die Große ihren Zettel zeigte und ich ihre Sorge las, hatte ich eine Idee. Ich sagte ihr, sie könne ja zusätzlich zu ihrer Sorge aufschreiben, was ihr Wunsch sei, also der Zustand, den sie stattdessen gerne hätte. Das hat ihr sehr gefallen und so setzte sie sich hin, formulierte ihren Wunsch und zeigte ihn mir. Er war negativ formuliert, also im Sinne von „Ich möchte, dass es nicht …“.

Ich sagte zu ihr: „Stell‘ dir vor, du wünscht dir: Ich möchte nicht, dass es morgen regnet. Dann ist es morgen vielleicht trocken, aber bewölkt. Wenn du wirklich nur wolltest, dass es trocken ist, ist das in Ordnung. Wenn du aber wolltest, dass so richtig schönes Wetter ist, dann wäre es besser, du wünschst dir, dass morgen die Sonne scheint und es trocken ist, oder?“

Süß war ihre Reaktion auf diese Erklärung, denn sie verdrehte zu sich selbst gewandt ein wenig die Augen und sagte: „Ja klar“ und sie formulierte ihren Wunsch um.

Es geht hier nicht um Bestellungen ans Universum. Es geht darum, sich klar und deutlich wahrzunehmen und sich dementsprechend zu äußern. Darum, die Erfahrung zu machen, dass genau das ans Ziel führt. Und dass es vollkommen okay ist, zielgerichtet und konkret zu sein.

Früher habe ich mich oft in Beziehungen – egal ob romantischer oder freundschaftlicher Art – subtil verhalten und wohl irgendwie gehofft, mein Gegenüber könne hellsehen. Konkret zu äußern, was ich will war in meiner Kindheit eher unüblich. Ich sehe, dass das heute noch vielen Erwachsenen Schwierigkeiten bereitet – sich selbst und ihren Beziehungen. Ich erlebe nicht geäußerte oder verquickt formulierte Erwartungen, die dann in ihrer Nichterfüllung zu Konflikten führen. Es macht einen riesengroßen Unterschied, ob die Senior-Mutter vorwurfsvoll sagt: „Ich bin einsam“ oder ob sie sagt: „Ich vermisse dich und es würde mir gut tun, wenn du mich hin und wieder anrufst oder besuchst. Kannst du das für mich tun?“ Welche Möglichkeiten hat ein erwachsener Sohn wohl, auf die verschiedenen Sätze zu reagieren?

Es hängt so viel von Kommunikation ab. Nicht nur von dem, wie wir es sagen, sondern auch von dem, was wir sagen. Für meine Kinder wünsche ich mir, dass sie nicht einmal in der Schule sitzen und es befremdlich finden, wie der Lehrer vorne versucht zu erklären, was Ich-Botschaften sind. Ich wünsche mir, dass sie es wissen und natürlich finden.

Nun bin ich dem Sorgenfresser direkt dankbar. Es war ein schöner Moment mit meiner Großen. Es war schön, ihr all das beibringen zu dürfen. Ich habe so lange gebraucht, zu erkennen, welchen Einfluss meine eigene Kommunikation auf das hat, was ich bekomme und auch darauf, wie ich fühle. Wenn meine Kinder nur einen kleinen Teil davon für sich positiv nutzen können, dann ist jede meiner Erfahrungen doppelt nützlich gewesen.

Wie ich hier schon öfter schrieb: „Jammern“ ist wie Anlauf nehmen. Aber irgendwann sollte man springen. Und dann ist es verdammt gut, wenn man weiß, wohin.

 

 

 

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4 Antworten zu Der Sorgenfresser

  1. Andreas Schweizer schreibt:

    Oh Tina, Du bist einfach unglaublich stark! Präzis in Deiner Wahrnehmung, talentiert im Formulieren, Einfühlsam und wohlwollen für Deine Töchter. Ich bewunder Dich! Und nein, Du musst hier nicht anfügen, dass auch Du nicht alles packst, davon gehe ich sowiso aus. Für mich heisst Perfiktion nicht fehlerfrei oder makellos, sondern ehrlich, wohlwollend, fair, zielgerichtet – und das bist Du definitiv. Ich sage das, weil Du mich beeindruckst, und weil ich Dir und Deinen Kindern Lebensfreude wünsche und Glück. Möge 2018 ein wunderschönes Jahr für Euch werden.

    Liebe Grüsse und Segenswünsche
    Andreas

    PS: Interessant wäre auch zu lesen, wie Du Damals Deiner Tochter erklärt hast, was Sorgen denn sind.

  2. Kerstin schreibt:

    Wow, wieder so ein toller Beitrag!! Das mit dem „Wetter-bestellen“ ist ein tolles Bild! Vielen Dank!

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